Die bei der Übernahme der norditalienischen Gebiete Lombardo-Venetiens durch die Habsburger 1814/15 eingeführte Bücherzensur hatte weitreichende Auswirkungen auf die (literarische) Öffentlichkeit der Region. Eine ganze Reihe von Entwicklungen, deren Komplexität in bisherigen Untersuchungen häufig auf eine negative Einflussnahme reduziert wurde, steht im Mittelpunkt der Studie von Daniel Syrovy, die organisatorische und pragmatische Aspekte der Zensur in ihrem breiteren historischen, regionalen und literatursoziologischen Kontext und in ihrer Wechselwirkung mit der Produktion und Zirkulation von Literatur betrachtet.
Ein Fokus liegt dabei ebenso auf der praktischen Zensurorganisation wie auf der komplexen Ausdifferenzierung der Kontrollmaßnahmen in polizeilicher Hinsicht zwischen Bücher-, Theater- und Zeitschriftenzensur, einem ausgeprägten Spitzelwesen und diversen finanziellen und diskurssteuernden Interventionen im Kontext eines Konfliktes mit der Herrschaftssituation, der zunehmend unter nationalistischen Vorzeichen stand und immer stärker medial ausgetragenen wurde. Die Untersuchung historischer Kontinuitäten und Brüche, Fallstudien u.a. zum historischen Roman und zur Inszenierung Italiens im Sinne einer imagined community sowie ein Ausblick auf die Zeit nach der formalen Abschaffung der Präventivzensur 1848 komplettieren das Bild der habsburgischen Zensur zwischen Literatur und Politik in Lombardo-Venetien.